Des Sommers letzte Rose
Die Rose – Bild und Inbegriff der Schönheit, auch die des Menschen. Bisweilen mischt sich schon Trauer in dieses Bild, weil die Schönheit flüchtig und vergänglich ist. Oft sind es die letzten Tage des Sommers oder des frühen Herbstes, die diesen Eindruck bestärken, wie es Friedrich Hebbel in seinem Gedicht „Sommerbild“ zum Ausdruck bringt:

Arthur Dampier-May, A boy
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn, / Sie war, als ob sie bluten könne, rot; / Da sprach ich schauernd im Vorübergehn: / So weit im Leben ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag, / Nur leise strich ein weißer Schmetterling; / Doch ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag / Bewegte, sie empfand es und verging. (Friedrich Hebbel, Sommerbild)
Auch der schöne Knabe in der Knospe seines Lebens wird so manchmal mit Wehmut betrachtet; schon der antike griechische Dichter Theokrit schrieb:
Schön ist die Rose wie du und nach kurzem Verlaufe verdorrt sie; /
Schön ist das Veilchen im Lenz und schnell kommt drüber das Alter; /
Weiß ist der Lilie Glanz und welkt, wenn vom Stengel sie abfällt; /
Weiß ist der Schimmer des Schnees und schmilzt doch, wenn er sich ballet; /
Schön ist die Schönheit der Knaben, doch lebt kurzdauernde Zeit sie. (Theokritos, Idyllen)
Der Maler Johann Veraguth in Hermann Hesses Roman „Roßhalde“ weiß um das nahe Ende seines siebenjährigen kranken Sohnes, er sieht sein tägliches Schwächerwerden, seit er an Hirnhautenzündung erkankt ist. Und zugleich sieht er die durchsichtig gewordene helle Knabenschönheit, wenn er bei ihm am Bett sitzt und ihn wehmütig, sich an vergangene Tage erinnernd, betrachtet:

Philip de László, Der Sohn des Künstlers, Paul
Ach, nie mehr im Leben würde er eine solche Liebe fühlen können wie zu diesem Knaben. Seine Anmut, sein Lachen, die Frische seines kleinen, selbstbewußten Wesens waren der letzte frohe, reine Klang in Veraguths Leben, so schien es ihm; sie waren für ihn, was der letzte vollblühende Rosenbaum in einem spätherbstlichen Garten ist. An ihm hängt Wärme und Sonne, Sommer und Gartenfröhlichkeit, und wenn ihn der Sturm oder Reif entblättert, ist es mit allem Reiz und mit jeder Ahnung von Glanz und Freude vorüber. (Hermann Hesse, Rosshalde, 1913)

Arthur Augustus Dixon, The sleeping minstrel (1905)
In orientalischen Erzählungen findet man häufig Lobpreisungen schöner Knaben – auch im Bild der Rose: „Im Alter von zwölf Jahren“, so fuhr Djafar in seiner Erzählung vor dem Chalifen fort, „hatte der Kleine schön schreiben, Theologie, Grammatik, arabische Literatur, Arithmetik und den Koran gelernt. Auch ließ ihn Gott immer schöner und liebenswürdiger werden, so daß folgende Verse ihn recht gut bezeichnen: ‚Sein schlanker Wuchs gleicht einem kräftigen Baumstamme, der Mond scheint von seiner leuchtenden Stirne aufzugehen, die Sonne geht in den Rosen seiner Wangen unter; er ist der König der Schönheit, und die Schönheit alles Geschaffenen ist von ihm entlehnt.‘
Als ihn zum ersten mal seine Vater hübsch kleidete und sich mit ihm auf den Weg machte, um zum Sultan zu reisen, drängten sich alle Leute um den Besir, damit sie diesen schönen Knaben besser sehen konnten. Sie überhäuften den Vater und seinen Sohn mit Glückwünschen; alle waren von des Knaben Schönheit entzückt und konnten ihn nicht genug bewundern, so oft sie ihn sahen, denn er war wirklich, wie ein Dichter sagte: ‚Gepriesen sei der, der ihn so schön geschaffen! Er ist der König aller Schönheit, alle Menschen sind ihm ergeben, sein Speichel ist fließender Honig, seine Zähne sind eingereihte Perlen. Er allein vereinigt alles Schöne in sich, und alle Menschen verlieren sich in seiner Anmuth. Die Schönheit hat auf seine Stirne geschrieben: Ich bezeuge, daß nur er wahrhaft schön ist.‘
Er war die Verführung aller Liebenden, der Lustgarten, nach dem jeder sich sehnte, süß waren seine Worte, freundlich sein Lächeln, er beschämte den Vollmond und war schmiegsamer als die Zweige des Ban, seine Wangen konnten alle Rosen ersetzen.“ (Tausendundeine Nacht, Achzigste Nacht)

Cicely Mary Barker, Prince and Princess
In der höfischen Malerei, so schreibt Germaine Greer in ihrem Buch „Der Knabe“, wurden die jungen Prinzen gern mit einer Rose in der Hand dargestellt, wenn eine Verlobung bevorstand. Die Rose wurde zum Zeichen der sich anbahnenden Verbindung zweier Häuser. Doch auch das einfache Volk wusste um die Bedeutung der Rose als Liebessymbol; der österreichische Maler Alois Duxa zeigt uns einen Dorfjungen, der auf ein Mädchen wartet, um ihre eine Rose schenken zu können – vielleicht die letzte des Sommers …

Alois Duxa, Knabe mit Rose, der ein Mädchen überraschen will