Abkühlung
An einen „brutheißen Tage mit mattem Landwind“ in den Sommerferien führt uns Thomas Mann an den Strand der Ostsee nach Travemünde. Seine kleine Geschichte beginnt mit der Schilderung der Erfrischung von ein paar zwölf- bis dreizehnjährigen Buben im Wasser, bevor sie sich „unter dem Balken- und Bretterwerk der Badeanstalt auf dem festen Sande“ in den Schatten zurückzogen. Zwei von ihnen, Johnny und Brattström, „lagen vollständig nackt auf dem Rücken, während es mir angenehmer war, mein Badetuch um die Hüften gewickelt zu haben.“

Alexander Andrejewitsch Iwanow, Vier badende Knaben
Mit den Augen des Ich-Erzählers betrachtet Thomas Mann den genannten Johnny näher, in dessen Gesellschaft man leicht, wie er schreibt, in ein etwas komisches Licht geraten konnte, „wenn man weniger klein, fein und körperlich kindlich war als er, der das alles in hohem Grade war.“ Der anmutige Johnny mit seinen hübschen blauen Mädchenaugen war in jeder Hinsicht anders als die anderen, vielleicht weil er ein halber Ausländer war. So trug er auch als Erster elegante Kleidung, ohne verhöhnt und verlacht zu werden. Jetzt aber trug er nichts. „Er sah aus wie ein kleiner magerer Amor, wie er da lag, mit erhobenen Armen, seinen hübschen blond- und weichlockigen, länglichen, englischen Kopf in die schmalen Hände gebettet.“ (Thomas Mann, „Wie Jappe und Do Escobar sich prügelten“ – 1911)
Die haben es gut, die sich bei hochsommerlichen Hitze im Wasser erfrischen können. In den Schwimmbädern oder an Gewässern begegnet man in der Literatur wie auch auf zahlreichen Gemälden immer wieder sich tummelnden Knaben. Fast hat man den Eindruck eines Genremotivs.

Josef Bárta, Badende Jungen
In Zeiten, da es solche Badeanstalten noch nicht gab, suchten Mensch und Tier die Abkühlung und Erfrischung an offenen Gewässern, wenn sie denn durften. In Goethes „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ erinnert sich Wilhelm an ein Erlebnis seiner Jugendzeit. Bei einem Familienausflug in das Stadtumland, als er mit den Dorfkindern Schlüsselblumen sammelt, wird er von dem Sohn des Fischers angesprochen:
Hans Olaf Heyerdahl, Badende Jungen an einem Sommertag
Ein Knabe, der mich bei seinem ersten Auftreten gleich besonders angezogen hatte, lud mich ein, mit ihm nach dem Fluß zu gehen […] Da sei die schönste Gelegenheit zu baden. Er könne, rief er, endlich aufspringend, der Versuchung nicht widerstehen, und ehe ich mich’s versah, war er unten, ausgezogen und im Wasser. […] Da war es denn ihm leicht, mich hinunterzulocken, eine nicht oft wiederholte Einladung fand ich unwiderstehlich und war, mit einiger Furcht vor den Eltern, wozu sich die Scheu vor dem unbekannten Elemente gesellte, in ganz wunderlicher Bewegung. Aber bald auf dem Kies entkleidet, wagt’ ich mich sachte ins Wasser, doch nicht tiefer, als es der leise abhängige Boden erlaubte […] und als er sich heraushob, sich aufrichtete, im höheren Sonnenschein sich abzutrocknen, glaubt’ ich meine Augen vor einer dreifachen Sonne geblendet: so schön war die menschliche Gestalt, von der ich nie einen Begriff gehabt. Er schien mich mit gleicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Schnell angekleidet standen wir uns noch immer unverhüllt gegeneinander, unsere Gemüter zogen sich an, und unter den feurigsten Küssen schwuren wir eine ewige Freundschaft.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre – 1821)
Auf seiner Italienreise machte Goethe Ende der 1770er-Jahre eine schöne Beobachtung:
Hier begegnete mir auch etwas recht Vergnügliches: ein Ziegenhirt trieb an dem Strand dcs Meeres; die Ziegen kamen in das Wasser und kühlten sich ab. Nun kam auch der Schweinehirt dazu, und unter der Zeit, daß die beiden Heerden sich in den Wellen erfrischten, setzten sich beide Hirten in den Schatten und machten Musik; der Schweinehirt auf einer Flöte, der Ziegenhirt auf dem Dudelsack. Endlich ritt ein erwachsener Knabe nackend heran und ging so tief in das Wasser, so tief daß das Pferd mit ihm schwamm. Das sah nun gar schön aus, wenn der wohlgewachsene Junge so nah ans Ufer kam, daß man seine ganze Gestalt sah, und er sodann wieder in das tiefe Meer zurückkehrte, wo man nichts weiter sah als den Kopf des schwimmenden Pferdes, ihn aber bis an die Schultern. (Johann Wolfgang von Goethe, Zweiter römischer Aufenthalt)
Rudolf Koller, Der Junge auf dem Schimmel
Nicht sehr viel anders erlebte eine solche erfrischene Szene Harry Graf Kessler während des Ersten Weltkriegs und notierte sie am 12. 6. 1915 in sein Tagebuch:
„Durch eine Furt, neben der in der heissen Mittagsglut viele Soldaten badeten und Pferde in die Schwemme ritten. Auffallend schön ein fünfzehnjähriger Slowaken Junge, der wie eine Figur aus dem Parthenonfries sein Pferd ins Wasser ritt.“ (Harry Graf Kessler, Tagebuch 1914–1916)

André Durand, Eros Cooling (1995)
In der Stadt sind es die Brunnen, an denen man zumindest für eine kurze Zeit Erfrischung erfährt. Und nicht nur Kinder plantschen gern in den oder um die Brunnen herum oder nutzen das Nass zur Abkühlung. André Durand hat in einem Bild einen dem Putten- und Kleinkindalter entwachsenen Eros-Knaben dargestellt, der sich an einem Wasserstrahl Abkühlung verschafft …
Eine besondere Erfrischung bietet auf einem Jugendstil-Brunnen von Mathias Gasteiger in München der Satyr einem Knaben, der ihm das Wasserrohr zuhält: Er speit ihn an und spritzt ihn so nass. „Brunnengruppe Satyrherme und Knabe“ heißt der Brunnen, der 1895 am Münchener Stachus aufgestellt wurde, und heute am Ende der Neuhäuser Straße steht. Allgemein wird er aber nur „Buberlbrunnen“ oder das „Brunnenbuberl“ genannt.
Das „Brunnenbuberl“ wurde aber nicht nur wegen des besonderen Motivs über die Stadt hinaus schon bald bekannt. Weil der den Satyr ärgernde Knabe nackt ist, wurde er zum Skandal. Der Künstler bekam für die Bubenfigur an die 300 Höschen geschickt, sogar der Prinzregent Luitpold machte den Vorschlag, den Knaben mit einem Feigenblatt zu versehen, was der Künstler sich verbat.
Sogar literarisch ist das Brunnenbuberl geworden: Der Schriftsteller Ludwig Ganghofer hat dessen Geschichte in einem „heidnischen Mondscheinspuk“ mit dem Titel „Brunnengruppe“ verarbeitet, in dem das Brunnenbuberl lebendig wird und sich beim Satyrn über die prüde Menschheit beklagt, die es auf einmal unsittlich gefunden und ihm ein Badehöschen angezogen hat:
„Weißt Spitzohr, man mußte mich kleiden, / weil die frommen Leut’ das Nackte nicht leiden. / Hab gar nicht gewußt, daß ich nackicht wäre. / Die Frommen die nahmen mich erst in die Lehre! / Ach Du! Da hat man mir beigebracht, / an was ich mein Lebtag nicht hätt’ gedacht! / Der Meister Zelot, der fromme Schneider, / der nahm mir das Maß da für die Kleider, / und hat gemessen so lang und genau, / bis ihn beim Schopf nahm seine Frau. / Und die Jungfer Schamhaft hat doppelt genäht, / damit mir das Höschen recht sittig steht …“ – Postkarten aus dieser etwas prüden Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert illustrieren die Vorschläge.
In seiner natürlichen Schönheit kann man – wie Ganghofer in der Einleitung zu seinem Spiel schreibt – „die schlanke, zarte, keuschgeformte Knabengestalt des ,Brunnenbuberls'“ zum Glück nach wie vor schauen – nur derzeit gerade nicht, weil wegen Bauarbeiten an umstehenden Gebäuden der Brunnen eingerüstet ist, um das künstlerische Werk vor Beschädigung zu schonen. Wäre ja schad‘ drum.