Lausbub, Bengel, Schlingel

In Theodor Fontanes Roman „Der Stechlin“ sagt die Frau des Kutschers Imme über den hübschen Jungen, der im Hof mit seinem Reifen („Hoop“) spielt,  dass er „reizend“ ist und „viel Chic“ hat und bezeichnet ihn als „verwöhnte kleine Range“. (Siehe Beitrag: „Der hübsche Junge mit dem Hoop“)

„Range“ ist seiner ursprünglichen Bedeutung ein altes Wort für ein weibliches laufendes Schwein, das zum Schimpfwort und von Martin Luther als solches auch benutzt wurde. Erst mit der Zeit milderte sich die Bedeutung ab, wurde dann auch auf einen übermütigen herumrennenden Jungen bezogen. Ein „Wildfang“ würde man heute wohl sagen, ein Wort, das sich auch auf Mädchen beziehen kann. Aber gerade für Jungen werden gern Bezeichnungen verwendet, die von ihrer eigentlichen Bedeutung her negativ sind, nun aber fast wohlwollend klingen. Wie wenn wir heute zu einem Jungen „Na, du kleiner Gauner“ sagen und damit nicht einen jungen Kriminellen meinen …  Es sind Worte wie „Lauser“ oder „Lausbub“, „Bengel“, „Schlingel“, „Schlawiner“ oder eben auch „Gauner“

André Castaigne, Zwei junge Musikanten

Auch der „Lausbub oder „Lauser hatte ursprünglich eine höchst negative Bedeutung – wie überhaupt der „Bube“ nicht unbedingt niedlich gemeint war. „Lausbuben“ gehörten zum Gesindel übelster Sorte und niederster Schicht, unreinlich womöglich, worauf auch das „Laus“ im „Lausbub“ hinweist; die Laus ist – wie die Ratte (siehe Beitrag: Ciske, die Ratte) vielfach Symbol des Schmutzigen und Ärmlichen, einer „lausigen“ Zeit und Gegend. Erst sehr spät wandelte sich das Schimpf- zu einem Kosewort für einen vielleicht frechen, aber ansonsten liebenswerten Jungen, einem „Lauser“.

Die beiden hatten das Zimmer verlassen und waren in den Fahrstuhl gestiegen. Der Boy polierte sich soeben die Fingernägel und bekam von Don Alfonso einen dunkelstrengen Blick zugeworfen. „Ein hübscher Lauser“, sagte Moosthaler und kraulte dem Kleinen, der in einer himbeerroten Livree und dem glitzernden schwarzen Haar einen ziemlich koketten Eindruck machte, den schmalen Nacken. „Sprichst du deutsch?“ Der Junge hob den Blick der mädchenhaft großen Augen. „Ja – meine Err!“ sagte er automatenhaft. „Sag mal: H – herr!“ und Moosthaler lachte und lachte, als der Kleine das nicht konnte, und es tat ihm leid, daß der Boy schon die Türe geöffnet hatte und piepste: „Bitte, meine Erren — Dack-terrasse!“ Moosthaler drehte sich noch einmal zu dem Fahrstuhl um der soeben mit dem roten, himbeerfarbenen Knaben in die Tiefe versank. „Himmlisch“, seufzte er dumpf, wandte sich aber erst jetzt dem Bilde der Stadt zu, wie sie funkelnd, vom Halbkreis der Berge geschützt, aus dem Meere aufstieg. (Stefan Andres, Die Sintflut – 1949)

Eugene de Blaas, Kopf eines Knaben

Die „Laus“ ist sprachlich viele Verbindungen eingegangen, in unserem Fall ist auch noch der „Lausebengel“ zu nennen. Dabei ist doch schon der „Bengel“ ein Ausdruck für einen ungezogenen Jungen. Noch älter ist die Bezeichnung für einen Knüppel oder eine Stange. Im Elsässischen hat sich das noch in dem Wort „Bangala“ erhalten. Jean Egen erinnert sich in seinem Buch „Die Linden von Lautenbach“ unter anderem an das Mittagessen am Sonntag und schreibt: Für diesen Tag backen die Bäcker die ,Bangala‘, und diese ,Bengelchen’ sind lange, fast schwarz gebrannte Semmeln, die die Fleischbrühe bernsteinfarben machen. – Auch die „Bengel“ können ein fast zärtlicher Begriff werden, zumal ja der „Engel“ schon im Wort enthalten ist:

Joseph Ducreux, Porträt eines Knaben

Während des Mahles wurden von den Lehrbuben der Innung Erfrischungen und Süßigkeiten herumgereicht. „Schaut mal, was für ein auffallend hübscher Bengel das ist“, machte Pieter seine Tischnachbarin Isabella Brant auf ein Bürschlein aufmerksam, das ihm Konfekt anbot. „Wahrhaftig, ein Engelskind“, erwiderte Isabella leise, damit der Junge es nicht hörte. […] Pieter gewahrte mit Erstaunen, dass sich das Antlitz des dem Kinde nachschauenden Mädchens in einer bisher nicht gesehenen eigenartigen Schönheit verklärt hatte. (Zsolt Harsány, Das herrliche Leben – 1961)

Christian Aigens, Boy blowing Soap Bubbles

In diesem Augenblick klopfte es. Der Professor öffnete die Thür und ein blonder Junge von acht Jahren trat ein. Er trug, sorgsam und etwas ängstlich, ein Tablett mit einem Glas Limonade. „Mama läßt schön grüßen“, sagte er. Jülich starrte vor sich hin. „Ich danke.“ Der Knabe zögerte einen Augenblick und ging dann verlegen hinaus. „Bildschöner Bengel!“ brummte der Professor. „Freilich: der Vater war auch ein famoser Kerl.“ (Eduard Goldbeck, Die Galeere – 1908)

Der „Schlingel“ schließlich war wohl zunächst ein schlingelnder, schlendernder Mensch, einer der nichts zu tun hat. Als Bezeichnung für einen Jungen ist es ein halb herabsetzende, meist aber gutmütige gemeinte Wort für einen Jungen, der etwas angestellt hat.

Edmond Louyot, Lachernder Fischerknabe

Der Hund gehorchte, doch hatte ein rascher Kampf zwischen ihm und dem Kinde, das eiligst herbei gestürzt war, schon stattgefunden und seine Spuren machten sich an dem Knäblein sichtbar. Es stand da verwundet, aber keck und herausfordernd, schrie seinerseits den Hund an: „Wirst kuschen!“ und drückte voll Zärtlichkeit sein gerettetes Kaninchen an sich, mit nackten sonnenverbrannten Armen, und von einem der Arme floß Blut und rötete das Fell des Tierchens. – Ein couragierter kleiner Schlingel, dachte der Graf und wusste gar gut, dass er den vor sich hatte, den er bisher so sorgfältig gemieden. (Marie von Ebner-Eschenbach, Der Erstgeborene 1905)

Seit 1996 gibt es das Internationale Fimfestival für Kinder und junges Publikum in Chemnitz, das den Namen „Schlingel“ trägt. –

Nochmals zurück zur „Range“: Auch in der maskulinen Form „der Range“ begegnet der übermütige wilde Knabe. In einer Neubearbeitung des Parzival von Wilhelm Hertz wird der schöne Knappe , der seine ritterliche Form erst noch sucht, so bezeichnet: „Da bot der schöne Range ihm Frau Jeschutens Spange“ – aber möglicherweise nur um des Reimes willen …

(Wird fortgesetzt …)

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