Peter Altenberg und die Patek-Uhr

Die altehrwürdige Genfer Uhrenmanufaktur Patek-Philippe verweist gern darauf, dass ihre hochwertigen Produkte Begleiter über Generationen sind. Und so sieht man denn in den Anzeigen und Werbefilmen (Patek Philippe Generations Campaign) immer wieder Väter und Mütter mit ihren Söhnen und Töchtern. Da eine Patek-Philippe nicht ganz billig ist, scheinen Eltern wie Kinder auf diesen Bildern auch eher der Upperclass zuzugehören – gut gekleidet, brav frisiert dürfen die ansehnlichen Jungen Papas Motorboot steuern, am Fenster eines Erster Klasse-Pullmanabteils oder auf Vaters Schreibtisch Platz nehmen.

https://vimeo.com/80070916

Auf die Idee, einem schönen Knaben eine Patek-Uhr zu schenken, kam schon der Wiener Schriftsteller Peter Altenberg (1859–1919), der durch seine Aphorismen, Anekdoten und kurzen literarischen Skizzen bekannt wurde. Er legte seine Worte dem Besucher einer Vorstellung der Artistentruppe Gregory in den Mund – vielleicht er selbst. Allerdings hätte er die Uhr wohl kaum bezahlen können; Altenberg, der das Café Central als Wohnadresse angab, lebte überwiegend von den Spenden seiner Freunde…

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Vittorio Rignano, Giovane circense

Männer liegen am Rücken auf entsprechend gebauten roten Lederfauteuils ohne Füße und jonglieren mit den Füßen herzige Knaben. Sogenannte „Antipoden“, mit lebenden Wesen statt mit Riesenkugeln, Würfeln, Tischen, spanischen Wänden. Die Leiber der Knaben sind biegsam wie Kautschuk, es kann ihnen nichts geschehen, sie geben nach, jedem Schwunge; was man auch mit ihnen treibe, sie bleiben intakt! Die Knaben sind besser gewachsen als Mädchen und haben einen freudigen, begeisterten Gesichtsausdruck. […] Ich schaue jedem Artisten nur in das Gesicht. Hier ist das Zeugnis eingeschrieben, ob er „berufen“ ist vom Schicksal zum Artisten oder es sich „zugelegt“ hat aus tausend Gründen!
Nun, in dieser Gregory-Truppe ist solch ein „berufener“ Knabe. Ein etwas scharfes nervöses Gesicht und etwas bleich unter der roten Schminke. Auch dieses fühlt man durch. Er ist Meister, ohne viel zu lernen. Er braucht nicht zu üben. Etwas in ihm verleiht ihm unerhörte besondere Elastizitäten. Seine Schwungkraft ist um vieles vehementer als die der andern reizenden Knaben. Er ist in allem wie ein Sieger, er ist allen innerlich um viele Längen vor, obzwar sie alle dasselbe vollführen. In ihm sind elektrische Spannkräfte aufgehäuft, mühelos vollbringt er, was andre sich ›erworben‹ haben. Siehe, ein Genie des Turnens! Er macht das Unmögliche möglich in leichter Anmut! Er würde es „umsonst“ leisten, auf Wiesen oder Dorfstraßen, die „Variétébühne“ ist ihm nichts anderes!

Und da saß einer in der Proszeniumsloge ganz hart an der Bühne, so fünfzig Jahre alt, und murmelte: „Ist er nicht schöner, wertvoller als alle Frauen zusammen, die mich zerstört haben?!? Ich werde ihm morgen anonym eine Patek-Uhr schicken, Genf, von der Sternwarte geprüft, garantiert auf dreißig Grad unter Null, auf neunzig Grad über Null, mit Kupfermantel gegen elektromagnetische Einflüsse geschützt, zweitausendfünfhundert Frank wert, die ihm sonst niemand schenken würde! Und ich werde es erzählen, allen Damen; und wenn mich eine ironisch lächelnd dabei ansieht, werde ich sie ohrfeigen!“ (Peter Altenberg, Gregory-Truppe, in: Bilderbögen des kleinen Lebens – 1909)

Altenberg ist nicht der Einzige, der sich von der Erscheinung eines jungen Artisten oder Tänzers gefangen nehmen ließ. Ähnliche Huldigungen schrieben auch Thomas Mann (Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull), Robert Walser (Mehlmann. Ein Märchen), Anton Kuh (Temperament. Dem jüngsten Glazaroff) und andere. Hans Siemsen hatte dabei dieselbe Truppe vor Augen wie Altenberg. (Fünf Grix Gregorys).

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